Editorial
Dem Hauptthema „ Erster Weltkrieg“ folgend, dem sich der fünfte Band der Schriftenreihe „ Deutschlandstudien der Peking Universität“ widmet, nimmt der vorliegende Band erneuet ein spannendes Themenfeld in den Blick: Nation und Staat.
Dieser Band ist aus dem vom Zentrum für Deutschlandstudien durchgeführten Symposium im Oktober 2015 hervorgegangen, das Wissenschaftler aus China, Deutschland, Japan und Korea zu einem umfassenden und produktiven Austausch insbesondere über Nationalstaaten, Ideologien und Modernität zusammengebracht hat. Forscher mit ganz unterschiedlichen nationalen und akademischen Hintergründen haben das zentrale Thema unter spezifisch politischer, religiöser und soziologischer Fragestellung behandelt. Auch Wissenschaftler aus der Universität Toronto (Kanada) und aus der Universität Exeter (UK) haben mit ihren neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu diesem Symposium ihren Beitrag geleistet.
In der Rubrik „ Thema des Heftes“ hat M. Hettling am Beispiel von Denkmälern für gefallene Soldaten die Problematik der Nation und Religion im Totenkult der Weimarer Republik intensiv erörtert. W. Goetschel führt das Thema „ Lessing und die Juden“ von der religionsphilosophischen auf eine ideologische Ebene. Im Rückgriff auf die Analyse der Rechtsfälle in literarischen Werken des 19. Jahrhunderts hat R. Schmidt die Komplexität damaliger Konstruktionen nationaler Identität konstatiert. Dadurch wurde nicht nur eine neue Perspektive hinsichtlich der Erforschung der Nationenfragen eröffnet, sondern das Themenfeld auch nuancierter und intensiver erschlossen.
Die gesammelten Beiträge von Autoren unterschiedlichster Nationalitäten liegen nun vor. Ein Umstand, welcher der komparativen Untersuchung sehr zum Vorteil gereicht, sei es der Beitrag eines deutschen Wissenschaftlers, der Nationenfragen in Nordostasiens beleuchtet, sei es eine Untersuchung zum Begriffswandlung in der Herausbildung des Nationalstaats in Deutschland und Japan durch einen japanischen Forscher, oder vergleichende Analysen der chinesischen Gongyang Schule und der deutschen Historischen Schule durch einen chinesischen Wissenschaftler. Das breit gefächerte Spektrum, das sich zwischen China und Deutschland, Japan und Deutschland, Europa und Asien, China und dem Westen auftut, hat ein Feuerwerk an Ideen entfacht. Dabei richtet sich unser prächtiges Ideenfeuerwerk stets auf Fragestellungen, die Chinas aktuelle Nationen-und Staatenprobleme betreffen. In der Rubrik „ Gastbeiträge“ versuchen Guan Kai und Bai Tongdong im breiteren Kontext des Vergleichs zwischen Ost und West ihre mutigen Thesen sorgfältig zu belegen, was das Verantwortungsbewusstsein der Wissenschaftler gegenüber aktuellen Problemen beweist.
Gleichzeitig wird im vorliegenden Band angeschlossen an die im letzten Band erschlossene Rubrik „ Erstübersetzung bedeutender Zeitdokumente nebst einschlägiger Kommentare“: Dabei wird Primärliteratur aufgenommen, die für die Forschung zu Nationalstaaten von grundlegender Relevanz ist. In erster Linie ist hierbei das aus dem Deutschen unmittelbar übertragene Vorwort von Rankes „ Die Geschichte der Päpste. Die Römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten“ bzw. Peng Xiaoyus Kommentar dazu zu erwähnen. Mit Hinweis auf die hinter der sogennannten „ objektiven Geschichtsschreibung“ versteckten Vorurteile von Ranke versucht Peng die seit langem in der Geschichtswissenschaft Chinas dominierenden Meinungen zu Rankes Geschichtsschreibung zu relativieren. Dem kritischen Verständnis Rankes liegt als Ausgangspunkt der Kontext von Nation, Staat, Ideologie und der Kontruktion des nationalen Geistes zugrunde.
Die Schriftenreihe „ Deutschlandstudien der Peking Universität“ sieht in der Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Neben Wissenschaftlern, die sich längere Zeit mit der Geisteswissenschaft beschäftigen, haben uns hervorragende, hoch engagierte Wissenschaftler jüngerer Generation, die einerseits auf dem Gebiet der chinesischen Literatur und Kultur bewandert und andererseits in die deutsche Geisteswissenschaft eingetaucht sind, mit ihren Beiträgen neue Perspektiven und Konzepte aufgezeigt. Daher ist den Lesern besonders zu empfehlen, ihre Forschungsbeiträge aufmerksam zu verfolgen.
Zum Schluss sei allen Übersetzern herzlich gedankt, dass sie uns einen überblick über facettenreiches Forschungsinteresse weltweit geliefert haben. So viel zum vorliegenden Band. Wir freuen uns auf Kritik und Anregungen durch unsere Leser.